"Storchengeschichten" aus Kirchzarten

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Peter J.
Küken
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"Storchengeschichten" aus Kirchzarten

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Frankies Rückkehr - Eine Geschichte von Heimat und Erinnerung

Der Himmel über Kirchzarten hing tief und grau an diesem Juliabend, als Frankie durch den strömenden Regen flog. Jeder Flügelschlag fühlte sich schwerer an als sonst, die Nässe drückte auf sein Gefieder. Doch das Ziehen in seiner Brust war stärker als die Müdigkeit. Es war ein Gefühl, das ihn seit Tagen begleitete, ein Ruf, den er nicht länger ignorieren konnte. Das Nest. Sein Nest. Dort, wo er vor einem Jahr zum ersten Mal die Welt mit neugierigen Augen betrachtet hatte.
Doch als er näherkam, sah er, dass es nicht mehr ihm allein gehörte. Drei kleine Köpfe reckten sich über den Nestrand – Elisha-Jo, Socke und Fips, die diesjährigen Jungstörche. Normalerweise hätten sie ihn vertreiben müssen, einen fremden Storch im Revier. Doch als Frankie vorsichtig auf dem Nestrand landete, geschah etwas Seltsames. Die Kleinen wichen nicht zurück. Stattdessen duckten sie sich respektvoll, als spürten sie, dass dieser Besucher etwas Besonderes war.
„Ähm … hallo“, krächzte Frankie verlegen.
Fips, der Kleinste, wagte sich vor. „Bist du … der Frankie, unser großer Bruder? Der, vondem Mama immer erzählt?“
Frankie blinzelte. „Ulla erzählt von mir?“
„Ja!“, piepste Socke aufgeregt. „Dass du nach Maxi als Zweiter geflogen bist! Und dass du in Afrika sogar Schlangen gefangen hast!“
Die Fragen sprudelten nur so aus ihnen heraus: „Wie ist Afrika? Gibt es dort wirklich Nashörner? Und warum bist du zurückgekommen?“
Frankie lachte, ein warmes, tiefes Klappern. „Also, die Nashörner hab‘ ich nur aus der Ferne gesehen …“
Dann, als der Regen leise auf das Nest trommelte, begann er zu erzählen. Nicht nur von den Weiten Afrikas, sondern auch von denen, die nicht mehr da waren.
„Eure Schwester Maxi zum Beispiel, war anders als wir“, sagte Frankie und strich mit dem Schnabel über einen alten Weidenzweig, der im Nest lag. „Während Gabo und ich uns balgten, malte sie Muster in den Boden. Sie sah die Welt mit anderen Augen.“ Er blickte in die Runde, sah die gespannten Blicke der Küken. „Als wir nach Süden flogen, blieb sie oft zurück – nicht aus Schwäche, sondern weil sie alles genau betrachten wollte. In Spanien entdeckte sie einen Garten voller Farben. Die Menschen dort nannten sie ‚la pintora‘ – die Malerin.“
Frankie verstummte für einen Moment. „Eines Abends … funkte ihr letztes Signal zwischen Dornen. Sie war nicht mehr stark genug, weiterzufliegen.“
Fips’ Augen wurden groß. „Ist sie …?“
Frankie nickte. „Ja. Aber schau nach oben.“ Durch eine Lücke in den Wolken blitzten zwei Sterne auf. „Das ist Maxi – und dort, der helle Punkt neben ihr? Das ist Gabo.“
„Gabo!“, rief Socke. „Der hat doch keine Angst vor nichts gehabt, oder?“
Frankie schnarrte belustigt. „Stimmt. In Marokko stahl ihm ein frecher Ziegenbock namens Boubou seine Wassermelone – aber dafür führte der ihn zu einer versteckten Oase.“ Sein letztes Signal kam von der Küste Algeriens, wo die Sonne so heiß ist, dass sie Steine kocht.“
„Und dann …?“, fragte Elisha-Jo leise.
Frankie seufzte. „Manchmal fliegen wir nicht weit genug. Aber …“ Frankie zog eine schwarze Feder aus seinem Gefieder. „Sie bleiben bei uns. In Geschichten. In Sternen. In jedem Windstoß, der nach Wüste schmeckt.“
Die Küken schwiegen, doch ihre Blicke sprachen Bände.
Plötzlich reckte Frankie den Hals. „Hört ihr das?“
„Was?“, flüsterte Elisha-Jo.
„Das Klappern.“ Frankies Stimme wurde fest. „Das sind Ulla und Edgar. Sie wachen über uns – genau wie Maxi und Gabo. Und wenn ihr eines Tages nach Afrika fliegt, werdet ihr sie spüren: Maxi in jedem Sonnenaufgang über Olivenhainen, Gabo im Lachen der Dorfkinder, die euch Sardinen zuwerfen.“
Der Regen ließ langsam nach und Frankie wollte sich verabschieden, da flüsterte Fips: „Wirst du wiederkommen?“
Frankie warf einen Blick zum Nachbardach, wo zwei Schatten regungslos lauschten. „Ich muss euch noch von Supermini erzählen. Beim nächsten Mal.“
Mit einem letzten Klappern – das wie ein Lachen klang – verschwand er in der Morgendämmerung.
Ulla und Edgar warteten, bis die Küken eingeschlafen waren. Dann sammelte Ulla die schwarze Feder ein.
„Für die Schatzkiste“, murmelte Ulla.
„Für die, die fehlen“, ergänzte Edgar leise.
Und irgendwo über Spanien funkelten zwei Sterne heller als je zuvor.
Peter J.
Küken
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"Storchengeschichten" aus Kirchzarten

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Die folgenden Geschichten handeln von den Jungstörchen Frankie, Maxi & Gabo, der Brutsaison 2024


Monte-Carlo

Die Mittelmeersonne funkelte auf den Wellen, als Frankie und Gabo in einem eleganten Bogen über den Hafen von Monaco kreisten. Drei Tage waren sie nun unterwegs, hatten schneebedeckte Gipfel hinter sich gelassen und sich durch stürmische Böen gekämpft. Doch jetzt breitete sich vor ihnen eine Welt aus blendendem Weiß und Blau aus – Palmen wie grüne Federbüsche, Yachten, die auf dem Wasser tanzten, und das berühmte Casino, dessen goldene Kuppeln in der Sonne funkelten.
"Sieh nur die Autos!", rief Gabo begeistert, als ein scharlachroter Sportwagen unter ihnen aufheulte. Frankie, normalerweise der Vernünftigere, ließ sich vom Glanz der Stadt verzaubern. "Papa hat immer gesagt, Störche bringen Glück", zwitscherte er. "Vielleicht bringen wir uns heute selbst welches!"
Mit einem kecken Flügelschlag landeten sie vor dem Casino. Durch die schwingenden Glastüren drangen Lichtreflexe wie tanzende Sterne heraus. Gabo stolzierte voran – sein schwarz-weißes Gefieder passte perfekt zu den Frackträgern im Foyer. Ein Portier mit goldbetresster Uniform riss die Augen auf, als die beiden ungebetenen Gäste durch den Marmorflur stolzierten.
Im Saal der Spielautomaten blieb Gabo wie angewurzelt stehen. Die Maschinen blinkten in Regenbogenfarben, Münzen klimperten, und überall lächelten glückliche Gesichter. "Frankie, schau!", flüsterte er und pickte einen verlorenen Jeton vom Teppich. Mit der Präzision, die er sonst nur beim Wurmfangen zeigte, manövrierte er den Chip in den Schlitz.
Frankie hielt den Atem an, als er mit dem Schnabel den Startknopf drückte. Die Walzen ratterten – Kirschen, Sterne, Glocken – bis... Klingelingeling! Drei goldene Storchensilhouetten leuchteten auf. Aus der Maschine sprudelten Jetons wie ein Wasserfall.
"Wir haben gewonnen!", kreischte Gabo und hüpfte auf einem Bein. Lachende Gäste umringten sie, Handys zückend. Eine Dame mit Diamantcollier tätschelte Frankies Kopf: "Mein lieber Glücksbringer!" Selbst der Croupier am Roulettetisch zwinkerte ihnen zu.
Draußen auf der Promenade, verschenkten sie die gewonnenen Jetons an eine obdachlose Katze und flogen überglücklich zum Hafen. Dort ließen sie die Beine, sitzend auf der Kaimauer, über dem Meer baumeln und die untergehende Sonne tauchte die Küste des Fürstentums in Honiggold.
"Stell dir vor, was Maxi sagen würde, wenn sie wüsste, dass wir im Casino waren", kicherte Gabo und malte mit dem Schnabel imaginäre Zahlen in die Luft.
Frankie sah seinem Bruder in die funkelnden Augen. "Weißt du, was das Beste ist? Dass wir das zusammen erleben. Egal wie weit wir fliegen – unsere besten Abenteuer sind die, die wir teilen."
Als die ersten Sterne über Monaco aufblinkten, breiteten sie die Flügel aus. Irgendwo hinter den Bergen wartete Afrika. Aber heute Nacht würden sie zwischen den Palmen des Casino-Gartens schlafen – zwei gewöhnliche Störche mit außergewöhnlichen Geschichten im Gepäck.
Und hoch oben in Kirchzarten, während Ulla und Edgar die GPS-Signale verfolgten, flüsterte Edgar staunend: "Schatz... unsere Jungs sind gerade reich geworden." Ulla antwortete nur mit einem mütterlichen Lächeln: "Nein, Liebling. Das waren sie schon immer."
Peter J.
Küken
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Das (vor)-letzte Kapitel

Der Morgen erwachte über Kirchzarten, als Ulla sich langsam aus dem Nest erhob. Die ersten Sonnenstrahlen spielten mit den letzten Federn, die ihre Kinder hinterlassen hatten. Sie pickte eine davon behutsam auf – es war eine von Maxis weißen Schwanzfedern, immer etwas krumm gewachsen, wie es für das einzige Mädchen so typisch war. Edgar schlief noch, seine langen Beine unter sich zusammengefaltet. Seit die Kinder fort waren, schliefen sie beide unruhig.
Ulla blickte hinunter ins Tal, wo der Nebel über der Dreisam tanzte. Vor genau elf Tagen hatten sie ihre Küken zum letzten Mal gesehen. Frankie war als erster aufgebrochen, mit jenem entschlossenen Blick, den er immer hatte, wenn er sich etwas in den Kopf setzte. Maxi hatte noch schnell ein letztes Bild in den feuchten Boden des Nestes gekratzt – eine stilisierte Storchenfamilie. Und Gabo, ihr wilder Gabo, war einfach losgeflogen, ohne sich umzudrehen, als hätte er Angst, sein Mut könnte ihn verlassen, wenn er noch einmal zurückblickte.
In diesem Moment erwachte Edgar mit einem Ruck. "Ich habe geträumt, Supermini wäre noch bei uns", sagte er mit rauer Stimme. Ulla stupste ihn sanft mit dem Schnabel an. "Er ist bei uns. In jeder Feder, die der Wind durchs Tal trägt."
Während die Eltern im leeren Nest saßen und die vertraute Stille ertrugen, war Gabo bereits in Tanger angekommen. Die marokkanische Küste breitete sich vor ihm aus wie ein Märchen aus tausendundeiner Nacht. Er landete auf einem bunten Fischerboot, wo ihn die Kinder mit lautem Gejubel empfingen. "Ein Glücksstorch!", riefen sie auf Arabisch und warfen ihm frische Sardinen zu. Gabo verbeugte sich theatralisch, doch als er später allein am Strand stand, wo die Wellen leise ihre Sorgen ins Ohr flüsterten, überkam ihn eine Welle von Heimweh. Er erinnerte sich, wie Frankie ihm immer die besten Würmer überließ und wie Maxi ihn getröstet hatte, als er beim Flugtraining ständig hingefallen war.
Weiter nördlich, in den endlosen Olivenhainen Andalusiens, machte Maxi gerade Rast. Während die anderen Störche hastig weiterzogen, blieb sie stehen und beobachtete, wie die silbernen Blätter im Wind tanzten. Eine alte Störchin, die seit Jahren diese Route flog, zwitscherte ihr zu: "Kindchen, wenn du so langsam bleibst, kommst du nie nach Afrika!" Maxi antwortete mit einem geheimnisvollen Lächeln: "Aber wenn ich zu schnell fliege, sehe ich all die Schönheit nicht." Sie breitete ihre Schwingen aus und fing einen warmen Aufwind, der sie sanft über die blühenden Hänge trug. In der Ferne sah sie ein einsames Storchennest auf einem alten Bauernhaus – und für einen Moment war sie wieder zu Hause, wo Ulla ihnen jeden Abend Geschichten erzählt hatte.
Frankie befand sich derweil in der strengen Formation erfahrener Zugvögel. Als sie die schneebedeckten Gipfel der Pyrenäen überquerten, spürte er den eisigen Wind in seinen Federn. Plötzlich erinnerte er sich an Edgars Worte: "Ein guter Flieger kämpft nicht gegen den Wind, er versteht ihn." Frankie entspannte seine Muskeln und ließ sich vom Luftstrom tragen. Unter ihm lag die Welt ausgebreitet wie eine geheimnisvolle Landkarte – und irgendwo dort draußen waren seine Geschwister unterwegs.
Zurück im Kirchturm nestelten Ulla und Edgar an Peets altem Laptop. Die Chatnachrichten flimmerten über den Bildschirm. "Gabo wurde in Tanger gesichtet!", "Frankie kämpft sich durch Zentralspanien!", "Maxi wurde beim Malen in einem andalusischen Olivenhain fotografiert!" Edgar kicherte, als er eine Nachricht von Angela las: "Ich habe eure ganze Geschichte aufgeschrieben – sogar wie Gabo damals den Eindringling verjagt hat!"
Ulla lehnte sich an ihren Gefährten. "Weißt du was?", flüsterte sie. "Ich habe Lust auf Abenteuer.
Wie wäre es mit einem kleinen Ausflug nach Südfrankreich? Nur für ein paar Tage. Vielleicht treffen wir ja zufällig..."
Edgar schnatterte lachend. "Spontan? Du? Da hat wohl jemand die Abenteuerlust der Kinder geerbt!" Doch in seinen Augen blitzte es auf – der gleiche Funke, den er als junger Storch gehabt hatte, bevor die Jahre der Nestpflicht gekommen waren.
In dieser Nacht träumten sie alle voneinander. Gabo auf seiner Düne in Marokko, wo die Sterne so hell leuchteten wie nie zuvor. Maxi in ihrem mit duftenden Kräutern ausgepolsterten Nachtlager. Frankie in einem spanischen Storchennest, wo ihn die Dorfbewohner wie einen Helden feierten. Und Ulla und Edgar in ihrem Nest, das nie wirklich leer war, solange die Erinnerungen lebendig blieben.
Als der neue Tag anbrach, standen zwei stattliche Störche auf dem Kirchturm und bereiteten sich auf eine ungeplante Reise vor. Irgendwo da draußen flogen drei junge Seelen ihrem Schicksal entgegen – doch egal wie weit sie voneinander entfernt waren, ihre Herzen schlugen im gleichen Rhythmus, getragen von den unsichtbaren Fäden der Liebe, die stärker waren als jeder Wind und weiter reichten als jeder Flug.
Und irgendwo in Kirchzarten schrieb ein gewisser Peet gerade die letzte Zeile ihrer Geschichte nieder, während die Webcam stumm das leere Nest beobachtete – das nur auf den ersten Blick leer war.
Peter J.
Küken
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"Storchengeschichten" aus Kirchzarten

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